Meine Mutter hat Corona überlebt - ein Hoch auf die Klinikseelsorge



Meine Mutter hat Corona überlebt. Es war knapp. Es war ein Wunder, sagte die behandelnde Ärztin im Prager Krankenhaus. Zwei Wochen wurde sie im Pflegeheim betreut und versorgt, bis die Sauerstoffsättigung so niedrig war, dass sie ins Krankenhaus musste. Zwei Wochen verbrachte sie auf der Intensivstation. Und wir bangten, tagelang: schafft sie es, schafft sie es nicht. Ich in Deutschland und meine jüngere Schwester in Griechenland. Auf der Intensivstation riefen wir mit einem schlechten Gewissen an. Das Pflegepersonal hat ohnehin schon genug zu tun. Wir waren wie abgeschnitten und fühlten uns hilflos. Stunden- und tagelang telefonierten wir miteinander und überlegten, was wir tun können.

Drei Tage später: die Krankenhausseelsorge! Es hat ein bisschen zu lang gedauert dafür, dass ich Pfarrerin bin. Natürlich, wir rufen bei der Krankenhausseelsorge an. Ich kontaktierte mehrere Kollegen in Prag und schnell hatte ich die Mailadresse der katholischen Seelsorgerin. Ich schrieb ihr eine Mail: "Unsere Mama liegt höchstwahrscheinlich im Sterben. Wäre es möglich, sie zu besuchen?" Die Antwort kam umgehend: "Heute Nachmittag gehe ich hin. Schicken Sie mir alles, was ich ihr geben soll, ich drucke es aus oder lese es ihr vor. Sagen Sie mir, was ihr Freude machen würde, ich mache es sehr gern."

Was schreibt man in einem Brief, der von einer fremden Person vorgelesen werden soll? Die letzten Worte. Was sagt man einer Mama, wenn es zu Ende geht? Ohne sie berühren, anschauen oder umarmen zu können? Persönliche letzte Worte, die eine Fremde vorlesen soll?
"Danke Mama für alles. Ich habe dich lieb"

Wir schickten Briefe und Bilder und die Handynummer. Und wir baten sie, mit ihr zu beten und Psalmen zu lesen. Und wir Schwestern telefonierten wieder und weinten am Telefon und trösteten uns gegenseitig.

Plötzlich kam ein Videoanruf. Auf dem Bildschirm eine unbekannte Person im "Astronautenanzug" und meine Mutter. Sie schaute mich freudenstrahlend an. "Ihrer Mutter geht ihr besser", hörte ich eine Stimme sagen.

Viermal war die Seelsorgerin bei unserer Mutter, wir durften kleine Videobotschaften schicken und sie schaltete ihr Handy immer am Bett unserer Mutter an. Ob es den Heilungsprozess beeinflusst hat? Ich weiß es nicht, aber ich glaube es. Wir hatten Glück, wir hatten Knowhow. Aber was machen Menschen, die keine Verbindung zur Kirche haben, die keine Ahnung haben, dass es die Klinikseelsorge gibt und was sie tut. Sicher, es steht auf der Homepage eines jeden Krankenhauses. Aber da muss man erst gezielt danach suchen. Ich erlebte selbst, wie hilflos man ist, wie ängstlich und verzweifelt.

Im März 2020, im ersten Lockdown herrschte in den Krankenhäusern, aber auch in den Pflegeheimen eine große Unsicherheit, zu wenig wusste man über das Virus und die Sicherheitsmaßnahmen waren streng. Alle hatten die Bilder aus Bergamo im Kopf, niemand wollte eine solche Situation erleben. Aber die Kranken? Oft geht es ihnen nicht nur körperlich schlecht, auch die Psyche leidet. Und die fehlenden Kontakte belasten sie zusätzlich.

„Ich glaube, viele Angehörige von Patientinnen und Patienten wissen nicht, dass sie sich an uns wenden können“, sagt Beate Schröder. Sie ist Klinikseelsorgerin im Universitätsklinikum in Tübingen. Seit Anfang Januar ist sie im Wechsel mit ihrem katholischen Kollegen auf den drei Covid19 Stationen des Klinikums unterwegs. Jeweils sechs Wochen arbeitet eine*r von beiden ausschließlich dort, um eine eventuelle Übertragung auf die anderen Stationen zu vermeiden. Gerade für beatmete Patient*innen, die nicht sprechen können, seien Kontakte enorm wichtig. Telefonate werden entgegengenommen, Briefe vorgelesen, Grüße ausgerichtet, Bilder aufgehängt. Menschen, die nicht sprechen können, können trotzdem hören. Dann helfe ein Telefonhörer am Ohr, damit die Kranken wenigstens die Stimme ihrer Lieben hören können. Und dann hängen bei dem griechisch-orthodoxen Patienten die Ikonen an der Wand, eine andere schaut auf eine große Bildergalerie der Kinder und Enkelkinder.

Vieles sei möglich, erzählte mir am Telefon Pfarrer eines Kölner Krankenhauses. Die Kreativität und die technischen Möglichkeiten kennen keine Grenzen. Ob es die Gespräche mit den Angehörigen per IPad sind oder der Lieblingsduft am Nachttisch. Bei einem katholischen Patienten hätten sie jeden Morgen die Messe aus dem Kölner Dom über den Krankenhaus Fernseher ausgestrahlt. Dass er nach einem wochenlangen Koma aufgewacht war, sei ein Wunder. Und auch sonst sei es gut zu wissen, was die einzelnen Menschen brauchen. Dann können die Seelsorger*innen gezielt handeln.

„Wir können vermitteln und freuen uns, wenn Anfragen von Angehörigen kommen“, sagt Schröder, „und wir merken, wie gut es den Menschen tut.“

Die Seelsorgearbeit in den Krankenhäusern ist sehr wichtig, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Sie ist eine elementare kirchliche Aufgabe. Menschen brauchen Begleitung: wenn es existenziell wird, wenn Fragen nach dem Sinn des Lebens und nach Gott laut werden und vor allem, wenn das Leben zu Ende geht. Dafür sind Klinikseelsorger*innen da, denn „bei der Geburt und beim Tod soll niemand allein sein“. Nicht nur in der Pandemie.







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