2024: Ein Jahr zwischen Abschied und Aufbruch

Für mich und auch für diejenigen, die es interessiert, habe ich einen Rückblick auf das Jahr 2024 gemacht. Es war so ein dichtes Jahr, dass ich meine Fotos zur Hilfe nehmen musste, um überhaupt rekapitulieren zu können, was ich alles gemacht, gefühlt und gedacht habe. 
Ich wurde von einer Freundin gefragt, warum ich es "Ein Jahr der Herausforderung und Abschieds" genannt habe.
Nun, es gab viele Abschiede: meine Mama, die elterliche Wohnung, die Kinder sind aus dem Haus und auch ein weiteres Jahr meines Lebens.
Trotzdem blicke ich in großer Dankbarkeit zurück und schaue mit Hoffnung und auch ein bisschen Sorge auf das kommende Jahr 2025. Wie wird es politisch und gesellschaftlich weiter gehen? Werden wir gesund bleiben und genug Kraft haben, um alle Aufgaben zu bewältigen? Ich lege das Jahr in Gottes Hand. 

2024 startete mit großer Hoffnung, dass er besser wird als das letzte, in dem ich meine Tochter aus dem Kriegsgebiet (Israel) zurückholen musste, anschließend 6 Wochen am Sterbebett meiner Mama saß und sie im Dezember verabschiedet habe. Die Traurigkeit nahm ich mit ins neue Jahr. Jetzt bin ich Vollwaise und die Älteste in unserer Familie. Mit meiner Schwester haben wir im Januar angefangen, die elterliche Wohnung auszuräumen, Gegenstände zu verkaufen und Abschied von vielen liebgewonnenen Sachen zu nehmen. Zum Glück müssen wir nicht alles auf einmal erledigen, sondern in mehreren Etappen arbeiten. Manche Möbel und Gegenstände brauchen Zeit, um neue Besitzer zu finden.

Parallel prägten gesellschaftliche Ereignisse den Januar. Die Demonstrationen für Demokratie und gegen „rechts“, darunter eine in Rottenburg, gaben mir Hoffnung. Zu sehen, wie die schweigende Mehrheit laut wurde, bestärkte mich in meinem Glauben an den Zusammenhalt der Gesellschaft. Auch die Erinnerung an die "Samtene Revolution" in der Tschechoslowakei im November vor 35 Jahren haben mich zum Nachdenken gebracht. Wie sehr ich hoffe, dass wir es 2025 schaffen, eine kluge, zukunftsorientierte Regierung zu wählen!

Der Februar brachte eine Mischung aus beruflichen Herausforderungen und privaten Reisen. Ich besuchte meine Tochter Lia in Sizilien, die nach den Ereignissen des Vorjahres noch immer mit ihrer Gesundheit kämpfte. Unsere gemeinsamen Tage in Catania und Scicli waren wertvoll, doch es war klar, dass sie mehr Zeit brauchte, um Kraft zu tanken. Einige Wochen später kehrte sie für eine Weile nach Hause zurück.

Beruflich war ich dank digitaler Möglichkeiten flexibel. Zwischen Tübingen und Leipzig pendelnd, konnte ich meine Aufgaben nahtlos wahrnehmen. Der Jahrestag des Ukrainekriegs gedachten wir sowohl analog beim Friedensgebet in der Nikolaikirche in Leipzig, als auch in der „kirche@home“ bei einem digitalen Gottesdienst mit dem ukrainischen Pfarrer Alexander Groß, der sehr eindrücklich über seine Arbeit im Krieg sprach. Digitalisierung öffnet die Türen - im wahrsten Sinne des Wortes.

Der März führte mich nach Prag, zunächst genoss ich ein paar erholsame Tage mit Enno, bevor ich dort einen Pfarrkonvent leitete. Es erfüllt mich immer wieder mit Stolz, meine Kirche der böhmischen Brüder vorstellen zu dürfen, und ich hoffe, dass die Kirchen Osteuropas und die Realität der Diaspora in Deutschland stärker wahrgenommen wird.

Ein weiteres Highlight war die Leipziger Buchmesse im April, die mittlerweile ein fester Bestandteil meines Jahres ist. Ich freute mich, dort die Autorin Irene Langemann (Das Gedächtnis der Töchter) und die Berliner Kollegin Theresa Brückner persönlich zu treffen, neue Bücher zu entdecken (u.a. Ein Sommer in Prag von Zdena Salivarova, Das Jahr ohne Sommer von Constanze Neumann, Verantwortungsvoll ejakulieren von Gabrielle Blair) und ein Gespräch mit Carlo Masala über sein Buch „Warum die Welt keinen Frieden findet“ zu hören.

Der Frühling begann mit einer besonderen Reise: Mit dem Zug fuhren wir an Ostern in mehreren Etappen nach Sizilien. Die Route führte uns über München, Florenz und Neapel bis nach Catania, Riesi, Scicli und Siracusa. In München besuchten wir meine Freundin Beatrice und ihre Frau Margarita, und in Sizilien verbrachten wir einige Zeit mit Lia.

Im Mai fand ein großer Abschied statt: Gemeinsam mit der Familie setzten wir die Urnen meiner Eltern im Familiengrab in Vilemov bei. Es war ein bewegender Moment mit allen Enkelkindern, Cousinen und Nichten. Der Anblick des Grabes, in dem nun auch meine Schwester Ester und unsere Großeltern ruhen, gab mir das Gefühl, dass alle endlich ihren Frieden gefunden haben – und wir auch. 
Anschließend setzten wir die Arbeit am Erbe unserer Eltern fort. Mit Pavla suchten wir weiter nach neuen Besitzer:innen für Bücher, Glas und Pelze. Dabei waren die Gespräche mit Interessierten oft ebenso wertvoll wie die Gegenstände selbst. Wir haben ein "Zdenka und Pavel Smetana Fond"  gegründet zu Gunsten der Arbeit der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. Dorthin soll ein Teil unseres Erbes fließen und auch Spenden sind dort herzlich willkommen.

Gleichzeitig musste ich eine meiner wichtigsten Wegbegleiterinnen und Lebensratgeberinnen, meine Schweizer Patin Friederike verabschieden. Sie ist im gesegneten Alter von 91 Jahren gestorben. Ich bin so dankbar, dass ich sie kennenlernen durfte und sie mich über 40 Jahre wohlwollend aber auch kritisch begleitet hat. Dankbar bin ich ihren Kindern, dass ich sehr gut Abschied nehmen konnte. 

Eine Reise in die Nähe von Ratzeburg war im Juni eine schöne Abwechslung. Ein jährliches Treffen mit Ennos Geschwistern ist seit seinem 60. Geburtstag zur neuen Tradition geworden. Ratzeburg ist  ganz schön weit im Norden – aus meiner Perspektive.

Im Juli feierte ich meinen Geburtstag in Straßburg. Wieder so eine dienstlich-private Angelegenheit. Ich
habe es trotzdem sehr genossen. Das Geburtstagsgeschenk (oder war es ein Weihnachtsgeschenk?) - ein Gutschein für einen Kochkurs – haben wir mit sehr viel Spaß und Freude direkt eingelöst.

Der Sommer war geprägt von einer besonderen Reise nach Armenien. Neben den Besuchen der Partnerkirche bereisten wir das Land, das mit seiner Geschichte und seinen Menschen einen tiefen Eindruck hinterließ. Mein Russisch kam dabei häufiger zum Einsatz, als ich erwartet hatte, und öffnete überraschend viele Türen (und Weinflaschen).

Ende August machte ich eine sehr besondere Erfahrung – ein Praktikum in der Vorstandsetage der Kölner Verkehrsbetriebe. Ich ging der Frage nach, wie Frauen in Führungspositionen arbeiten, wirken und leiten. Und nach Hause kam ich mit der Frage – wer bin ich überhaupt? Ich hatte ein sehr ehrliches Feedback bekommen, das mich zum weiteren Nachdenken und Handeln bewegt hat.

Im September hatte ich meine Kinder und meine Freunde und Ersatzeltern Richters zu Besuch. In der Konstellation ist es selten es macht mich sehr glücklich. Selbst wenn es nur ein paar Tage sind. Überhaupt freue ich mich über den guten Kontakt zu Noemi und Lia. Glücklicherweise leben sie jeweils an den Orten, die mir zur Heimat geworden sind (Tübingen - Leipzig) und so können wir uns regelmäßig sehen. 

Die Räumung der elterlichen Wohnung führte Pavla und mich im Oktober wieder zusammen. An der Stelle kann ich nicht unerwähnt lassen, dass sie mein größter Schatz ist und ich unglaublich dankbar bin, dass wir uns so nahe sind. Wir lasen zusammen Liebesbriefe unserer Eltern, diskutierten mit Antiquitätenhändlern, googelten den Wert alter Münzen, gingen ins Kino und tranken viel Bier. Die ganzen Aufräumarbeiten motivierten mich dazu, dass ich auch in meinem Zuhause anfing zu sortieren und wegzuwerfen.
 
Im November/Dezember war ich in in KubaNeben den obligatorischen Besuchen der Gemeinden, durften wir die Seele einige Tage an türkisblauem Meer und weißen Stränden baumeln lassen. Das tat gut – inmitten von herausfordernden Tagen in einem wunderschönen Land, das vom politischen System zu Grunde gerichtet wurde. Und wieder blicke ich auf all das, was ich und was wir haben – Wohlstand, Freiheit, Frieden – und kann nicht genug dankbar sein.

Weihnachten
haben wir zu zweit gefeiert. Mit einem schönen Heiligabendgottesdienst und Mittenachtvesper mit Sekt und Feliz Navidad. 
Kurz vor dem Jahresende ließen Enno und ich uns Gottes Segen für unseren gemeinsamen Weg geben und feierten diesen Schritt mit unseren Kindern und Geschwistern und einer kleinen Honeymoon-Reise nach Prag.

Beruflich war ich neben den üblichen Aufgaben bei verschiedenen Veranstaltungen dabei, wie der Vesperkirche, Konfirmandenunterricht, Mesner- und Hausmeistertreffen, Blaulichtgottesdiensten und Verabschiedungen langjähriger Mitarbeitender. Auch die Bezirks- und Landessynoden gehören zu meinen Aufgaben. Ein Highlight war der Besuch der Gäste aus der Partnerkirche in Kamerun. 

Mit meinem Prälaten Markus Schoch nehme ich gelegentlich an Empfängen teil, z.B. bei der Verleihung der Ehrensenatorenwürde an Christian O. Erbe. Gemeinsam mit Dekaninnen und Dekanen reiste ich mit ihm ins Baltikum, um Estland und Lettland zu besuchen.

Ich gehe regelmäßig zur Tübinger Hochzeitsmesse, um mit Menschen zu sprechen und zu erfahren, was sie über die Kirche denken. Zusammen mit meiner Kollegin Evelina Volkmann leite ich zweimal im Jahr ein Gottesdienstkolleg in Bad Urach. Ein weiteres Highlight war der leer_raum in der Tübinger Stiftskirche mit PopUp Segnungen und Gottesdiensten, das mich sehr zum Nachdenken über Glauben und Raumgestaltung anregte.

Besonders interessant war das GAW-Jahresfest in Reutlingen mit einem Vortrag von Pfarrer Marcus Hütter zum Thema „Neues Verständnis von und als Diaspora“. Überhaupt ist die Arbeit des GAW ein Herzensanliegen von mir, ein Ehrenamt, das ich seit über 10 Jahren inne habe. Schweren Herzens habe ich mich Ende des Jahres aus dem Vorstand verabschiedet. Der Arbeit des GAW bleibe ich aber treu. 

Ein großer Teil meiner Arbeit ist, dass ich über die Veranstaltungen und Termine berichten darf. Ich liebe es, die Geschichten aufzuschreiben. Geschichten von Glauben und Zweifeln, von Aufbrüchen und Wendepunkten, von Begegnungen und Erlebnissen - kurz: Geschichten von Menschen. 

Und ich habe ernstzunehmende Alternative zum Alkohol gefunden: Alkoholfreie Aperitifs von Franz von Fein


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