Der ÖKT und der Kreis der Erwählten

Ich war beim Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt – digital. Von zu Hause aus. Ich war gespannt, wie es nach den langen Monaten der Diskussion, ob und wie der Kirchentag stattfindet, dann tatsächlich wird. Für mich ganz praktisch, weil ich zwischendurch arbeiten musste.

An Christi Himmelfahrt schaute ich den Eröffnungsgottesdienst im Fernsehen an. Fröhliche Moderation, großartiges Setting, einfache Sprache, berührende Predigt, ökumenische Vielfalt, etwas Weihrauch und ein sensationelles Wetter (ok, dafür können die Veranstalter:innen nichts). Und ich dachte, wow – erster digitaler Kirchentag und es fängt gut an.  Doch die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: was man alles hätte aus dem Gottesdienst machen können, was für Chancen die Veranstalter:innen nicht genutzt haben, falsche Kameraführung, zu wenig Aktion und überhaupt…

Am Samstag war ich bei Christina Brudereck's Bibelarbeit dabei. Gefunden auf Instagram. Ich war so sehr dabei, wie ich noch nie bei einem Kirchentag dabei war. Mit meinem Herzen, mit meiner Seele, mit meinen Emotionen. Ich war so berührt und bewegt und dieses Gefühl nahm ich mit. Danke nochmal an 2Flügel. Im Laufe des Tages folgten Veranstaltungen und Gespräche, live Programm und vieles mehr. Ja, teilweise holprig, teilweise war es nicht einfach in die Veranstaltungen reinzukommen, manches war irgendwie geheim, stand nicht auf dem offiziellen Programm, nur in den sozialen Medien, die Veranstaltung zur #digitalekirche war ausgebucht (wie kann eine digitale Veranstaltung überhaupt ausgebucht sein?), dafür konnte ich kurzfristig an einem digitalen Besuch auf der SeaWatsch4 dabei sein (mit 1500 anderen Menschen). 

Gegen später bekam ich über Instagram mit, dass es parallel zum ÖKT Programm ein Livestream gibt. Ich schaltete um und sah viele jungen Leute, Sinnfluencer:innen, Theolog:innen verschiedener Konfessionen, wie sie diskutieren, Musik machen, beten und ein buntes 24-stündiges Programm anbieten. Wie toll, dass es Menschen gibt, die im digitalen Raum ganz so frisch und modern die Kirche nach außen präsentieren und die Botschaft von der Liebe Gottes verkündigen - dachte ich mir. Abends war ich beim brot-liebe Gottesdienst dabei, hörte bewegende Geschichten, teilte mit den anderen Brot und Wein und freute mich, ein Teil dieser großen digitalen Gemeinschaft zu sein.

Am Sontag – o Wunder – war ich im analogen Gottesdienst vor Ort. Die Predigt vom Kirchentag hörte ich später nach. Und wieder: junge Leute, gute und bewegende Worte, eine erfreuliche ökumenische Mischung. Und im Anschluss sharepics mit kurzen Zitaten und Botschaften aus der Predigt. Und die Idee mit dem digitalen Friedensgruß #friedeseimitdir von Jacqueline Straub. Wie schön und verbindend!

Mein Fazit am Sonntag: erster digitaler Kirchentag gelungen (mit allen Fehlern und Verbesserungsmöglichkeiten - das alles kann im Nachklapp konstruktiv evaluiert werden).  

Am Montag beim Blick in die sozialen Medien  – oh là là! Kritik über Kritik!
#digitalekirche sei 'exklusiv und ausschließend', 'ein innerer Zirkel von Erwählten'. Wieso überhaupt durften sie Party in Frankfurt machen und wir durften nicht mit. Die einen haben Kommentare geschrieben, die anderen haben die Kommentare kommentiert, es gab Rechtfertigung und Erklärungen von allen Seiten. Die Stories auf meinem Insta Account glühten und es ging fast überall um die Frage, wer gehört dazu, wer nicht und warum.

Heute Morgen ging es in der ökumenischen Bibellese um die Nachwahl des zwölften Apostels (Apostelgeschichte 1,15-26). Judas nahm sich das Leben und sein Platz blieb leer. Und die Jünger sollten entscheiden, wer nachrücken darf. Matthias oder Barsabbas? Es folgte ein Gebet, ein Los und eine Entscheidung. Matthias wurde gewählt.

Eine Geschichte, die für mich bislang keine so große Bedeutung hatte. So alt, wie die Bibel selbst. Und plötzlich wurde sie lebendig und aktuell. Denn auch bei den Jüngern ging es um die Frage: wer darf dabei sein und wer nicht? Wer ist der oder die Erwählte? Wer gehört zu dem erlauchten Kreis? 

Was Barsabbas nach seiner „Niederlage“ dachte oder sagte, steht nicht im Text. Vielleicht war er sauer, enttäuscht oder verletzt. Vielleicht war er neidisch und knallte die Türen zu. Vielleicht aber freute er sich mit Matthias und blieb dabei. 

Ich wünsche mir und allen, die in der #digitalekirche unterwegs sind, dass wir es schaffen - als Matthias oder Barsabbas - wohlwollend und wertschätzend miteinander umzugehen und gemeinsam den Weinberg Gottes zu beackern. Ich hoffe und glaube nämlich, dass wir das gleiche Ziel haben. 

Kommentare

  1. *klugscheiss*: Barsabbas (nicht Barabbas)

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  2. Ich finde, das klingt ganz wunderbar. Gemeckert wird ja hierzulande schon mal aus Prinzip. Ich denke und hoffe, dass das ein guter Anfang sein kann. Ganz besonders für junge Menschen, die ja rege beteiligt waren - oder vielleicht wegen des Formats auch (endlich?) mal gesehen wurden.

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