Alles hat seine Zeit
Die Stimmung ist magisch. Ruhig. Meine Erinnerungen reichen
bis
ins jüngste Alter und mischen sich mit den Erzählungen meiner Mutter. Sie
erzählt, wie sie mich morgens um 5 Uhr im Kinderwagen um den See schob. Weil
ich eine Lerche bin und ich im Haus sonst alle aufgeweckt hätte. Im Lädchen
oben im Dorf kaufte sie für mich „rohliky“ – Hörnchen. Auf dem Rückweg badete
sie mich im See. Und ich schrie, weil ich nicht wieder raus wollte. Zu Hause angekommen schob sie den Kinderwagen
in den Garten, wo ich im Schatten der großgewachsenen Sauerkirche weiterschlief.
Später gingen wir allein ans Wasser. Mit Decken, Sonnencreme
und Broten mit geschnittenen Tomatenscheiben. Mit 10 Jahren überquerte ich das
erste Mal schwimmend den See. Eingetragen ist es im Gästebuch aus dem Jahr
1938. Jede und jeder schrieb es rein. Auch meine Kinder. So will es das Gesetz.
Meine Kinder wuchsen hier auch auf. Sie verbrachten hier die Sommerferien mit
den Cousinen und Cousins, mit Oma und Opa. Auch sie gingen schwimmen, grillten
im Garten, spielten Spiele und ließen Wurzeln wachsen.
Das Haus haben meine Eltern nach dem Tod von Tante Libuse
übernommen und nach und nach hergerichtet. Das Dach wurde neu gemacht und die
Böden. Ich hatte die Idee für den Wanddurchbruch im Erdgeschoss von der Küche
ins Kaminzimmer und der Vater setzte es kurzerhand um.
Sonntags gingen wir in die Kirche nach Klokocov. Der Großvater hat sie gebaut. Das Harmonium war verstimmt, an den Fensterbrettern lagen tote Fliegen. Gepredigt hat mein Vater. Obwohl er Urlaub hatte. Einmal durfte ich übernehmen, im T-Shirt. Es war sein 70. Geburtstag. Der Weg zur Kirche war mühsam und spannend zugleich. 3,5 Kilometer am See entlang. Manchmal fanden wir Pilze – Maronen und Birkenpilze. Selten auch Steinpilze. Abends gab es eine Pilzpfanne. Wir haben alle überlebt.
LiLeTá war ein Gasthaus - im wahrsten Sinne des Wortes. Gäste gingen hier ein und aus. Das
Gästebuch erzählt davon. Während des Krieges war es eine Oase, ein Treffpunkt von Künstlern. Später war es der Ort, an dem die Jugendfreizeit stattfand. Es gab ein großes Bettenlager auf dem Dachboden,
Tischtennisturniere, Theaterstücke und lange Abende mit Gitarre am Lagerfeuer. Auch
das steht im Gästebuch. Hier habe ich mit neun Jahren meine erste Liebe
erlebt, heimlich hielten wir Händchen, trafen uns am See und durften nicht
nebeneinander schlafen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist.
Zu zweit fuhren wir damals nach Prag zur Ausstellung unseres Cousins und zum Arzt. Und ich fragte sie, ob sie sich vor dem Tod fürchtet. „Nein“,
sagte sie. „Aber das Leben ist zu schön, um zu sterben“. Im Dezember
starb sie. Mit 48 Jahren. Fünf Jahre später folgte der Vater. Nur einmal war ich seitdem im Haus. Um zu spüren,
dass sie fehlen.
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem
Himmel hat seine Stunde: Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten
hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat
seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine
Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln
hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen
hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen
hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat
seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit. (Prediger 3,1-8)
Schön, liebe Maddalena!
AntwortenLöschenDankeschön
Sehr interessante, romantische Geschichte ...
AntwortenLöschenZu Herzen gehende Geschichte und so schön formuliert, dankeschön!🙏🤗
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