Wurde ich als Christin verfolgt, unterdrückt oder "nur" eingeschränkt?
Vielleicht deshalb wartete ich ungeduldig auf den neuen ökumenischen Bericht der EKD und der DBK, der sich mit der Frage der Religionsfreiheit in seiner ganzen Komplexität und im Zusammenhang mit vielen verschiedenen Faktoren ausführlich auseinandersetzt. Wie der Bericht entstand und wie die Frage der Religionsfreiheit und der Christenverfolgung untersucht wurde, darüber sprach ich mit der Tübinger Politologin und Religionswissenschaftlern Katja Dorothea Buck, die als berufenes Mitglied in der ökumenischen Arbeitsgruppe maßgeblich am Bericht mitgearbeitet hat. Und sie bestätigte mein Unbehagen über die Vereinfachung des Themas, in dem sie sagte:
„Obacht
bei Zahlen zum Thema Christenverfolgung!“
Sind Christen die am meisten verfolgte
Religionsgemeinschaft?
Das kommt darauf an, wie man rechnet. Zahlenmäßig ist das
Christentum die größte Religion. Und leider gibt es in einigen Ländern auch Christenverfolgung.
Aber es gibt Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die Bahai‘, die
Ahmadiyya oder die Jesiden, die sehr klein sind. In ihren Ursprungsländern
Iran, Pakistan oder Irak werden oder wurden sie aufs blutigste verfolgt. Soll
ich nun sagen, sie sind weniger verfolgt als die Christen, nur weil sie
insgesamt weniger sind? Wer von der am meisten verfolgten Religionsgemeinschaft
spricht, von dem möchte ich gerne wissen, was aus dieser Aussage folgen soll. Dass
wir uns nur für Christen einsetzen?
Es wäre zumindest ein Ausdruck christlicher Solidarität…
Meinen Sie wirklich? Was heißt denn christliche Solidarität?
Dass ich mich nur für Christen einsetze? Da lese ich die Bibel anders. Für mich
bedeutet christliche Solidarität, dass ich mich als Christin aufgrund meines
Glaubens für alle Menschen einsetze, die um ihres Glaubens willen verfolgt
werden. Verfolgt zu werden ist doch kein Alleinstellungsmerkmal von Christen. Unter
religiöser Verfolgung zu leiden, kann Anhängern jeder Religion passieren, auch
denjenigen, die keine Religion haben. Und ganz nebenbei, keine Religion und auch
nicht der Atheismus sind davor gefeit, selbst auf der Seite der Verfolger zu
stehen. Oft ist es nur eine Frage der Mehrheit oder der Minderheit.
Es ist also alles komplexer, als es auf den ersten Blick
aussieht?
Ja. Und es ist den Christen nicht geholfen, wenn man sich in
Kontexten, wo auch andere verfolgt werden, nur auf Christen fokussiert. Wir
müssen die Mechanismen dahinter verstehen. In Indien werden nicht nur Christen
in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt. Sondern auch Muslime. Genauso in
China oder Eritrea, wo die Regime grundsätzlich alles, was mit Religion zu tun
hat, kontrollieren und klein halten wollen.
Wie gehen die Kirchen in ihrem Bericht mit dieser
Komplexität um?
Der Fokus liegt auf dem universellen Menschenrecht der
Religionsfreiheit, das alle Menschen in ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung
schützt. Die Kirchen haben aufgrund ihrer ökumenischen Verbundenheit mit
Christen in aller Welt einen besonders guten Einblick in die Situation von Christinnen
und Christen in verschiedenen Ländern. Diese Perspektive ist in den Bericht
eingeflossen. Aber eben nicht nur unter dem Aspekt, ob Christinnen und Christen
verfolgt werden, sondern wie es insgesamt mit der Religionsfreiheit in den
einzelnen Ländern aussieht.
Schwächt das nicht das Engagement, wenn man den Fokus so
stark auf alle Verfolgten ausweitet und sich nicht allein auf eine Gruppe
konzentriert?
Im Gegenteil. Religionsfreiheit ist ein so komplexes
Phänomen, dass man sich mit anderen zusammentun muss, wenn man etwas erreichen
will. Verletzungen der Religionsfreiheit kommen in der Regel nicht allein vor,
sondern sind häufig verbunden mit der Verletzung anderer Menschenrechte wie der
Versammlungs- oder Meinungsfreiheit. Auch stecken hinter Verfolgung meist
andere als nur religiöse Motive. Es kann um wirtschaftliche Interessen oder
ethnische Konflikte gehen. Wer für solche Probleme eine Lösung sucht, sollte
sich nicht allein auf Glaubensfragen konzentrieren. Damit erreicht man nichts.
Wie sieht es denn mit Zahlen aus? Kann man denn sagen,
wie viele Christen weltweit verfolgt werden?
Mit Zahlen sollte man sehr vorsichtig sein. Natürlich wäre
es hilfreich, man könnte mit wasserdichten Fakten schnell einen Überblick über
ein komplexes Thema geben. Auch für mich, die ich Artikel zum Thema
Religionsfreiheit schreibe, wäre das einfacher. Ich mache aber hinter jede
Zahl, die im Zusammenhang mit Christenverfolgung genannt wird, ein großes
Fragezeichen, weil damit in der Regel etwas belegt werden soll, was gar nicht
gezählt werden kann. Denn was lässt sich wirklich zählen? Die Zahl der
Ermordeten, ja, und die Zahl derjenigen, die inhaftiert werden aufgrund ihres
Glaubens. Und vielleicht noch die Zahl der Häuser und Kirchen, die zerstört
wurden. Dann hört es aber auch schon auf. Denn wie will ich die Menschen
zählen, die diskriminiert oder ausgegrenzt werden? Da gibt es innerhalb der
jeweiligen Religionsgemeinschaft sehr unterschiedliche Grade der Betroffenheit.
Die einen arrangieren sich irgendwie, die anderen leiden dagegen massiv
darunter. Oder wie will ich zählen, wie viele Menschen von Vorurteilen oder
Ausgrenzung betroffen sind? Und schließlich wird in vielen Ländern die genaue
Anzahl an Mitgliedern von Religionsgemeinschaften gar nicht erfasst.
Warum nicht?
Zum einen ist es eine Frage der Kommunikations- und
Verwaltungsinfrastruktur, ob solche Zahlen überhaupt erhoben werden können.
Dann wird mit Zahlen aber auch gern Politik gemacht. Ein atheistisches Regime
wie in China, Nordkorea oder Eritrea, das Religion an sich so klein wie möglich
halten will, wird kaum zugeben, dass Religionsgemeinschaften trotzdem wachsen.
Dennoch werden immer wieder konkrete Zahlen genannt
Ja, und manchmal werden sie auch ganz schnell wieder
dementiert. Wie Anfang des Jahres, als eine private Nachrichtenagentur in
Nigeria veröffentlichte, dass 145 katholische Priester 2022 von Terroristen
getötet worden seien. Diese Information ging viral. Kurze Zeit später dementierte
die katholische Bischofskonferenz in Nigeria die Zahlen und nannte deutliche
niedrigere Zahlen. Die Nachrichtenagentur aber hat ihre Zahlen im Internet
selbst Wochen nach dem Dementi der Bischöfe nicht korrigiert. Deswegen kann ich
nur wiederholen: Obacht bei Zahlen zum Thema Christenverfolgung!
Wie ist dann der EKD-Bericht aufgebaut?
Es gibt nicht nur Länderberichte, weil das eine Engführung wäre.
Es geht darum, das Recht auf Religionsfreiheit im Zusammenhang mit anderen Themenfeldern
klarer zu umreißen. Es gibt zum Beispiel ein Kapitel zu Religionsfreiheit und
Migration. Das geht der Frage nach, inwiefern die Religionsfreiheit von
Menschen auf der Flucht eingeschränkt wird. Oder Religionsfreiheit und
Zivilgesellschaft, wie hängt das miteinander zusammen. Oder Religionsfreiheit
und Gender – ein spannendes Thema, das leider oft gegeneinander ausgespielt
wird, gerade von Frauenrechtsgruppen, die Religion für althergebracht ansehen
und mit Kirchen nichts zu tun haben, weil diese in ihren Augen das Patriarchat
verkörpern.
Tun sie das nicht manchmal auch?
Ja, aber das Recht auf Religionsfreiheit schützt nicht die
Institution, sondern den Menschen. Es geht um ein Jedermannsrecht, das für jeden
einzelnen gilt. Kirchen können sich deswegen nicht auf die Religionsfreiheit
berufen, um für sich institutionelle Privilegien einzufordern.
Neben den Querschnittsthemen gibt es in dem Bericht auch
Länderstudien. Nach welchen Kriterien wurden die Länder ausgewählt?
Wir haben bewusst nicht die Länder ausgewählt, die allgemein
bekannt sind. Russland und Ukraine kamen aufgrund der Aktualität mit rein.
Myanmar, China, Indien, Äthiopien, Eritrea, aber auch Türkei, Syrien, Israel
und Palästina sind dabei. Es geht nicht darum zu zeigen, wo es am schlimmsten
ist, sondern vielmehr darum, dass Religionsfreiheit in allen Kontexten ein
Thema ist. Deswegen haben wir uns auch Deutschland und Dänemark angeschaut, um
europäische Kontexte in den Blick zu nehmen.
Und wie sieht es nun mit der Religionsfreiheit in Deutschland
aus?
Vom Grundgesetz her haben wir einen sehr hohen Schutz, was
die Religionsfreiheit angeht. Das Problem, das wir in Deutschland wahrnehmen,
ist eher, dass der gesellschaftliche Konsens beim Thema Religionsfreiheit
abbröckelt. Das hängt mit einem falsch verstandenen Säkularismus zusammen. Es
gibt eine allgemeine Tendenz, Religion ins Private abdrängen zu wollen.
Religionsfreiheit bedeutet aber nicht, dass der öffentliche Raum frei von
Religion zu sein hat. Religionsfreiheit heißt, dass ich meinen Glauben oder
meine Weltanschauung frei, öffentlich und mit anderen zusammen ausüben kann.
Welche Konsequenzen hat dieser Trend?
Bei Rechtsfragen ist nichts in Stein gemeißelt. Wenn der
gesellschaftliche Konsens fehlt, kann das die Politik beeinflussen und dann
irgendwann auch die Gesetzgebung. Ein schwindendes Verständnis für
Religionsfreiheit kann langfristig dazu führen, dass auch ein hoher
Schutzstandard irgendwann ausgehöhlt wird.
Werden in Deutschland Unterschiede gemacht zwischen
Religionsfreiheit für Christen und andere Religionen?
Die christlichen Kirchen haben mehr Möglichkeiten, allein
beim konfessionellen Religionsunterricht an den Schulen oder bei der
Kirchensteuer. Ich finde Kirchensteuern gut und wichtig. Es ist richtig, eine
Institution finanziell zu unterstützen, damit sie sich auch sozial engagieren
kann. Aber warum nicht gleiches Recht für alle Religionsgemeinschaften?!
Was soll der Bericht bewirken?
Wenn es gut läuft, erhöht er die Sensibilität für das Thema
Religionsfreiheit nicht nur innerhalb der Kirchen, sondern auch bei denen, die
nicht kirchlich oder religiös sind.
Werden sie es lesen?
Aus politischen Kreisen in Berlin hören wir, dass man mit
großem Interesse auf den Bericht wartet, eben weil er sich grundsätzlich und
fundiert mit dem Thema Religionsfreiheit auseinandersetzt. Nicht aus religiösen
Gründen ist es wichtig, sich in punkto Religionsfreiheit ein bisschen
auszukennen. Das ist eine rechtliche und eine gesellschaftliche Frage.
Und was ist das spezifisch Kirchliche beim Thema Religionsfreiheit?
Die Kirchen müssen für sich definieren, was Kirche sein
bedeutet und warum die Kirchen beim Thema Religionsfreiheit eine eigene Stimme
haben. Die Kirche ist keine zusätzliche NGO oder Menschenrechtsorganisation.
Kirche hat eine eigene, theologisch begründete Perspektive. Das ist ihr
Unique-Selling-Point und den muss sie mit einem geerdeten Selbstbewusstsein vertreten.
Hat der Bericht eine alltagstaugliche Relevanz?
Es ist eine große und wichtige Aufgabe, das Thema
runterzubrechen. Mir ist es wichtig, dass die Themen nicht nur auf dem Papier
stehen, sondern auch zu den Menschen kommen. Deshalb biete ich Vorträge an,
gehe in Gemeinden und diskutiere mit Menschen. Dabei lerne ich selbst auch
immer wieder sehr viel.
Zum Beispiel?
Dass manchmal das Thema Verfolgung „romantisiert“ wird.
Einmal war ich eingeladen zu einem Workshop mit der Überschrift: „Dankbar trotz
Verfolgung“. Ich habe erst einmal schlucken müssen, als ich das Thema gehört
habe. Aber solche Einladungen sind Anlässe, bei denen ich mit den Menschen in
Dialog treten kann und manchmal auch theologisch argumentieren muss. Bei dem
Workshop konnten wir zum Beispiel sehr gut miteinander herausarbeiten, dass wir
bei einem so leidvollen Thema wie Verfolgung nicht sofort mit der Auferstehung
anfangen dürfen. Karfreitag und vor allem die Leere des Karsamstags gehören
dazu und müssen ausgehalten werden. Verfolgung ist selten ein Grund zur
Dankbarkeit. Da hilft oft nur Schweigen und Mit-Aushalten. Verfolgung ist aber ganz
gewiss ein Thema, das den Glauben herausfordert, auch wenn man selbst nicht
direkt verfolgt wird.
Zum Bericht:
Am 5. Juli 2023 stellten die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche in Deutschland den „3. Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit – eine christliche Perspektive auf ein universellesMenschenrecht“ vor. Mit dem Text wollen die beiden Kirchen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass das Recht auf Religionsfreiheit jeden Menschen schützt, egal welchen Glauben er oder sie hat. Dies tun sie aus einer christlichen Perspektive heraus, nutzen die ökumenische Verbundenheit zu Christen in aller Welt und verstehen sich als eine Stimme im großen gemeinsamen Einsatz für die Menschenrechte weltweit.Zur Person:
Katja Dorothea Buck ist Religionswissenschaftlerin und Politologin in Tübingen und schreibt seit vielen Jahren zu den Themen Religionsfreiheit, Mission, Ökumene und Christen im Nahen Osten in verschiedenen Publikationen. Seit drei Jahren ist sie berufenes Mitglied in der ökumenischen Arbeitsgruppe, die den „3. Ökumenischen Bericht zur Religionsfreiheit – eine christliche Perspektive auf ein universelles Menschenrecht Bericht zur Religionsfreiheit“ erarbeitet hat. 2022 hatte sie als Krankheitsvertretung auch die Geschäftsführung der Arbeitsgruppe von evangelischer Seite inne.
Viz doktorská práce Michaela Pfanna česky i německy
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