Warum ich Deutsche geworden bin

Vor 32 Jahren bin ich mit dem Bus von Prag nach Stuttgart gefahren. Mit einem OneWay Ticket. Ich machte dies und ich machte das. Studieren, Arbeiten, Kinder großziehen. Und irgendwann stellte sich die Frage nach der deutschen Staatsbürgerschaft. Nicht, dass ich sie bräuchte, aber ich wollte wählen dürfen. Alles andere war mir als Bürgerin eines EU-Mitgliedstaates möglich. Im Jahr 2016 durchlief ich das ganze Prozedere - mit Sprachtest und allen Gebühren - und dann hielt ich den deutschen Pass in den Händen. Es wurde gefeiert. Mit dem Landrat, der Ministerialrätin und anderen Eingebürgerten. Ich durfte eine Rede halten. Sie ist 7 Jahre alt, die Situation war anders, trotzdem würde ich (fast) alles wieder so sagen:

Sehr geehrter Herr Landrat Wolff, sehr geehrte Frau Ministerialrätin Hüfner,

liebe Gäste,

herzlichen Dank für die Einladung und auch die Möglichkeit hier ein paar Worte zu sagen zu meiner persönlichen Entscheidung, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.

Es ist schon mehr als 25 Jahre her, als ich nach Deutschland kam. Ich hatte nicht vor zu bleiben – zwei Dinge hatte ich im Sinn: ich wollte die Sprache lernen und ich wollte Erfahrungen sammeln… doch es kam anders. Und zwar deutlich anders als ich dachte.

Deutsche Sprache habe ich eigentlich nicht gelernt. Mein erster Wohnort war in Stuttgart und mir begegneten Worte und Sätze, zum Teil auch grammatikalische Besonderheiten, die ich so in der Schule nicht gelernt hatte. „Bischaloi“, fragte mich einer in einem Café und ich muss zugeben, ich hatte keine Ahnung, was er von mir wollte. Ebenso der Satz „mir ganget fort“ war mir ziemlich rätselhaft. Deutsch wurde es nicht, dafür aber Schwäbisch. Und dafür bin ich dankbar, denn in meinem Beruf als evangelische Pfarrerin auf der schwäbischen Alb ist das deutlich von Vorteil.

Und entgegen der Planung, wieder in meine Heimat zurück zu kehren, bin ich in Deutschland geblieben. Wo die Liebe hinfällt, so sagt man. Ich habe hier geheiratet, mein erstes Studium absolviert und zwei Kinder bekommen. Die Kinder sind zweisprachig aufgewachsen und besitzen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Für mich gab es ganze 25 Jahre keinen Grund, deutsch zu werden. Ich fühle mich als Europäerin mit zweisprachigen Kindern, mit spannenden europäischen Wurzeln – eben in Deutschland lebend und arbeitend. Es gab für mich weder einen Vorteil noch einen Nachteil. Außer, dass ich nicht wählen durfte. Das hat mich zwischendurch geärgert, aber nur alle 4-5 Jahre. Zur Kommunalwahl bin ich selbstverständlich gegangen.

Doch dann kam im letzten Jahr (2015) der Satz „wir schaffen das“ von Angela Merkel. Und damit auch meine Entscheidung :

Ja, ich bin froh und dankbar, dass ich in einem Land leben darf, in dem die christlichen Werte der Nächstenliebe  von offiziellen Stellen verteidigt werden. Ich bin dankbar, dass ich mich für eine christliche Einstellung, für meinen Glauben an Gott und an eine bessere Welt nicht rechtfertigen muss. Ich bin dankbar für die Menschen, die es ebenso handhaben.

Ja, diese Frau – die für diese Werte steht - die ist auch meine Kanzlerin und sie soll meine Stimme haben. Ihre Partei ist zwar nicht meine Partei, aber ihre Haltung ist auch meine Haltung. Und ich bin sehr froh, dass sie diese verteidigt – trotz aller Kritik.

Ich lebe in diesem freien, demokratischen, christlichen Land und ich bin dankbar, dass ich es mitgestalten kann. Bisher im privaten und beruflichen Bereich, ab sofort auch im politischen – denn, wie gesagt – ich darf ab sofort wählen.

Das heißt aber nicht, dass ich damit meine tschechische Identität abgegeben habe. Äußerungen aus Bayern über die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft ärgern mich. Diese Menschen haben nichts verstanden. Ja, ich bin jetzt deutsch, ich bin integriert, ich beherrsche die Sprache (inzwischen auch Hochdeutsch), ich arbeite hier, verdiene mein Geld, zahle Steuern und wähle.

Aber ich bin in Tschechien (CSSR) geboren, dort lebt der Großteil meiner Familie, dort sind meine Wurzeln, meine Erinnerungen, meine Kindheit und Jugend, meine Freunde. Die tschechische Sprache ist meine Muttersprache, Prag ist der Ort meiner Kindheit, die Kirche der böhmischen Brüder ist meine geistliche Grundlage. Die Tschechische Republik ist und bleibt ein Teil von mir. Auch wenn ich im Moment nicht mit der Politik dort einverstanden bin, wenn ich in Gesprächen immer wieder anecke, wenn ich mich durchaus ärgere.

Tschechien ist für mich die Heimat im emotionalen Sinn, Deutschland ist nach und nach meine gewachsene, alltägliche Heimat geworden. Und zwar das Deutschland, das ich jeden Tag neu erleben darf. Mit allen Schwierigkeiten, mit allem Ringen um Freiheit, Demokratie und Offenheit.

Eine kleine, aber bedeutende Geschichte passierte in den letzten Tagen:

In Gruibingen wurden uns im Laufe des Jahres etwa acht Flüchtlingsfamilien zugeteilt. Mit verschiedenen Geschichten, verschiedenen Hintergründen. Inzwischen sind zwei Familien anerkannt worden und dürfen aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen. Mit unserem Netzwerk für gute Nachbarschaft waren wir auf der Suche nach Wohnungen. Was mir begegnete, hat mich zum Teil sehr erschüttert – Ablehnung, Hass, Unverständnis.

Doch dann erlebte ich auch eine sehr berührende Geschichte. Am Freitag schauten wir uns eine Wohnung in Wäschenbeuren an. Eine junge Italienerin – übrigens mit einem Türken verheiratet - hat uns sehr freundlich empfangen und sagte uns diese Wohnung zu mit den Worten: „Uns wurde damals auch geholfen und das wollen wir weitergeben. Wir helfen, wo wir helfen können“.

Das ist für mich Deutschland, wo Menschen verschiedener Kulturen, Religionen, Hautfarben und Herkunftsländern miteinander leben, füreinander da sind, sich gegenseitig helfen. Das ist Nächstenliebe (egal, wie unsere eigene Religion heißt). Das sind die Werte, die unser Abendland prägen und die zu verteidigen sich auf jeden Fall lohnt. Das ist für mich Deutschland. Und ich bin jetzt ganz offiziell ein Teil davon.


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