Ich habe Manna gegessen


Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Das Pfarrhaus meines Großvaters auf dem Land war riesig. Und kalt. Es grenzte an den Friedhof mit einer hohen und bröckeligen Mauer und einer riesigen Kirche. Früher müssen da viele Menschen im Gottesdienst gewesen sein. Der Garten war der einzige gepflegte Ort. Weil meine Oma eine leidenschaftliche Gärtnerin war. Sie pflanzte Blumen und Erdbeeren an, züchtete Rosen aller Art und nannte sie nach Biblischen Frauen. Auch eine Magdalena gab es. Sie war pinkfarben und duftete schön. Auf dem Rasen blühten gelbe Löwensteinblüten, die wir für 10 Heller pro Kopf gesammelt haben. Oma machte Löwenzahnhonig. Über der Scheune hingen Äste des Kirchbaums. Vom Dach konnten wir sie direkt essen. Dort schlossen wir mit meiner kleinen Schwester einen Pakt fürs Leben. Er hielt ein paar Stunden. Wir badeten in einem Zuber und schliefen in Zimmern mit Spinnen.

„Kinder, hier ist Manna gefallen“, weckte uns eines Morgens unser Großvater. Die Geschichte von den Israeliten und dem Manna kannten wir als Pfarrerskinder nur zu gut. Wir sprangen aus dem Bett und liefen im Schlafanzug in den Garten. Und tatsächlich. Auf den Blättern des Frauenmantels lagen neben den glänzenden Tautropfen kleine ockerfarbene Kristalle. Wir schauten sie an, nahmen sie in die Hand und probierten sie. Sie schmeckten süß. Und ein bisschen sauer. 

2. Mose 16, 2-3 und 11-18

Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste. 3Und die Israeliten sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.

Und der Herr sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der Herr, euer Gott bin.

Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat. Das ist’s aber, was der Herr geboten hat: Ein jeder sammle, so viel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.

Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, so viel er zum Essen brauchte.


Kommentare

  1. Frauenmantel war es eher nicht - vermutlich eine Sorte Koriandersamen. Trotzdem eine schöne Erinnerung. Glückwunsch zur Oma.

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