Maria Magdalena und ich


 Es ist verrückt - alles! Fangen wir mal damit an, dass ich heute da bin. Kurzfristig angefragt, kurzfristig zugesagt. Zwischen Tür und Angel, quasi auf dem Weg von Leipzig nach Tübingen.

So ist es manchmal im Leben, dass man ver-rückt wird – von da nach dort – oder verrücktes tut. Weil es gerade dran ist. Würde ich Gabi heißen, wäre ich heute nicht da. Würde es bei diesem Frauenmahl um die Heilige Katharina gehen, wäre ich auch nicht da. Aber es geht um Maria Magdalena. Also fühle ich mich meiner Namensschwester verpflichtet. Und bin da.

Und denke darüber nach, was Maria Magdalena mit mir gemeinsam hat. Oder ich mit ihr. Außer dem Namen. Also ohne Maria. Das fand meine Mutter zu katholisch.

Meine Eltern nannten mich nur Magdalena. Obwohl ich aus einer Pfarrersfamilie komme, waren die Gründe ganz profan. Die beste Freundin meiner Mutter heißt so. Ob sich mein Pfarrer-Vater etwas Theologisches dabei dachte, kann ich ihn nicht mehr fragen. Es ist vor 5 Jahren gestorben. Und es wird in der Familie auch keine Geschichte tradiert.

Ich mochte den Namen schon immer. Ich war immer die einzige Magdalena in der Klasse. Und ich bestand und bestehe bis heute auf der vollen Länge des Namens. Magdalena. Ja sogar, als ich etwa 14 oder 15 war, habe ich alle Klassenarbeiten und Dokumente konsequent mit Maria Magdalena unterschrieben und mich auch überall so vorgestellt. Wann es aufhörte, weiß ich nicht mehr.

Ich fand Maria Magdalena immer toll. Sie hatte eine besondere Rolle damals bei Jesus. Sie war seine Sponsorin.[1] Ohne sie – so vermutet man - hätte er sich das gar nicht leisten können, als Prediger durch die Lande zu ziehen und Menschen zu heilen. Sie hat es möglich gemacht. Und sie ging mit. War mal da. Mal dort. Bei Jesus. Bei seiner Kreuzigung und bei seiner Auferstehung.

Und das verrückteste an Maria Magdalena: Sie war eine Frau ohne Ehemann, ohne Kinder, die beste Freundin Jesu. Und eine neuere Forschung sagt – das Wort „Magdalena“ soll nicht für die Herkunft dieser Maria stehen (Maria von Magdala), sondern Magdalena bedeute auf Aramäisch „der Turm“. Maria Magdalena – Maria der Turm, vielleicht so wie Petrus – der Fels. Sichtbar und feststehend.[2]

So wäre ich auch gerne. Und vielleicht bin ich es auch. Sichtbar, laut, manchmal unbequem und da und dort ver-rückt. Und vielleicht ist auch Jesus ein bisschen schuld daran, dass ich so geworden bin, wie ich heute bin.

Jetzt wird es ein bisschen biografisch – aber all das gehört zu meiner Prägung:

In Zelow, in Polen, ist mein Großvater auf die Welt gekommen. Einer von vielen Tschechen, die nach dem 30-jährigen Krieg aus Glaubensgründen ihr Land verließen. Sie gründeten 1801 das Dorf Zelow bei Lodz.  Dort lebten sie ihren evangelischen Glauben. Mein Großvater war der erste, der zurück in die Heimat kam. Nach dem 1. Weltkrieg. Er sprach polnisch und russisch und ein altertümliches tschechisch. Er wurde Pfarrer. Ich habe ihn nicht kennengelernt. Er starb vor meiner Geburt. Seine Frömmigkeit des 18. Jahrhunderts steckt auch in meinen Knochen, vermittelt durch meinen Vater, Pfarrer und Bischof der Kirche der Böhmischen Brüder. Polen - Tschechoslowakei. Zelow - Prag. Vom 18. ins 20. Jahrhundert. Pfarrerskinder haben häufig keine Heimat. Nicht geografisch, nicht religiös. Auch ich als Pfarrerskind lief mit, wurde geprägt und lernte unterwegs. Wie Maria Magdalena.

Nächster Baustein meiner DNA[3]: In der damaligen Tschechoslowakei ist meine Mutter mitten im 2. Weltkrieg auf die Welt gekommen. Tochter zweier Fabrikantenkinder. Man geheiratet natürlich standesgemäß. Möbelfabrik trifft auf Strickwarenfabrik. UND dann kam das Jahr 1948 und alles wurde von den Kommunisten enteignet und verstaatlicht. Aus der Oberschicht wurde im Handumdrehen die Unterschicht. Zwangsräumung aus der eigenen Wohnung. Alles anders als geplant. Ihren Glauben haben sie trotzdem nicht verloren. Oder gerade deshalb. Sie blieben fest im Glauben – wie Maria – der Turm.

Zwangsräumung, Vertreibung, Flucht, Enteignung, Unterdrückung. Das steckt alles in meiner DNA. In diese Gegebenheiten wurde ich hineingeboren. Im Sozialismus der 70er Jahre. In einem Dorf namens Hošťálková. Ein kleiner Ort mitten im Nowhere. hier war mein Vater der Pfarrer und ich neun Jahre die Pfarrerstochter. Es wurde mir nicht zur Heimat. Dann zogen wir nach Prag. Zum Glück. Mehr Freiheit. Mehr Möglichkeiten. Mehr Wurzeln.

Und dann kam 1989 die samtene Revolution. Und ich mittendrin. Natürlich. Zufall? Das weiß ich nicht. Ich war 18, sehnte mich nach Freiheit und hatte das Glück mit den richtigen Menschen unterwegs zu sein. Mit Vaclav Havel reiste ich im Januar 1990 – vier Tage nach seiner Wahl zum Präsidenten – als Journalistin nach Deutschland. Ich hatte keine Ahnung. Wie so oft in meinem Leben.

Deutschland hat mich nie wieder losgelassen. Jetzt sind es 32 Jahre her, seit ich in Stuttgart am Bahnhof stand. Und es folgten eine Reihe verrückte Stationen. Ich wurde Sozialpädagogin, Nachlassverwalterin, Mitarbeiterin im Wohnheim für Menschen mit Behinderung. Ich heiratete einen Witwer, zog zwei Stiefkinder und zwei eigene Kinder groß. Ich ließ mich scheiden. Ich war 3 Monate in einer Burnout Klinik. Ließ mir ein Tattoo stehen und 2017 bekam ich den deutschen Pass.

Theologie studierte ich nicht, um Pfarrerin zu werden, sondern um meinem Vater fundiert und wissenschaftlich begründet contra geben zu können. Eigentlich. Aber - Sie verstehen – man studiert nicht sieben Jahre Theologie, nur um sich mit dem Vater zu unterhalten. Also wollte ich doch Pfarrerin werden. Aber wo? Und wie? Mein tschechisches Examen wollte Württemberg, wo ich inzwischen heimisch wurde, nicht anerkennen. Das tschechische Vikariat aber, das ich vier Jahre später mit kleinen Kindern und Sack und Pack in Prag absolvierte, dann doch. Irgendwie verrückt.

Also wurde ich württembergische Pfarrerin. Auf einem Dorf. Mitten im Nowhere – auf der Schwäbischen Alb. Kennen Sie die Schwäbische Alb? Sie wissen, wie man dort spricht? Ich musste krasses Schwäbisch lernen. Und eine andere Kirche verstehen. Ich, reformierte Tschechin wurde lutherische Pfarrerin in Württemberg.

Und heute? Ich bin immer noch nicht angekommen. Zumindest geografisch nicht. Ich bin eine Reisende und Lernende. Und es geschehen immer noch Zeichen und Wunder. Überraschend. Nicht geplant. Und verrückt. Wie dieser Abend.



[1] Chaim Noll: „Höre auf ihre Stimme“, S. 306ff ISBN 978-3-374-07310-8


Kommentare

  1. So berührend und faszinierend! Eine starke - häufig ver-rückte Frau 🫶☘️☘️☘️

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  2. Sehr berührend. Danke fürs Teilen. Hier in der Nähe gibt es eine Gemeinde der böhmischen Brüder. Das ist schon sehr anders als lutherische Gemeinden, die ich kennengelernt habe.

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